Diskriminierung, Stress und Langeweile im Job: Unsere aktuelle Studie hat einige Faktoren identifiziert, die Developer dazu bringen, ihren aktuellen Job zu kündigen und sich anderweitig umzusehen.
Dabei könnten Arbeitgeber einiges tun, um gute Leute zu behalten und passende Kandidatinnen und Kandidaten anzusprechen, weiß Rudi Bauer, CCO & Chief Evangelist von WeAreDevelopers: Im Gespräch erzählt er, warum der klassische „Code Monkey“ ausgedient hat, Diversität in der IT so wichtig ist und Unternehmen endlich aufhören sollten, Lebensläufe zu lesen.
Rudi, WeAreDevelopers hat kürzlich eine Studie durchgeführt, um herauszufinden, wie sich Developer in ihrem Job fühlen und was sie von Arbeitgebern erwarten. Welches Ergebnis der Studie hat dich persönlich am meisten überrascht?
Die größte Überraschung war für mich, dass Langeweile im Job so einen großen Stellenwert hat. Das muss gar nicht heißen, dass Developer nichts zu tun haben: Langeweile kann auch durch einen veralteten Tech Stack entstehen oder weil man bloß Dinge abarbeitet, anstatt selbst gestalten zu können.
Mein Tipp: Unternehmen müssen sich überlegen, ob die Technologie, die sie einsetzen, noch zur Zeit und zu den Menschen passt. Zudem sollten sie ihren Leuten auch zutrauen, Projekte selbstständig umsetzen zu können. Wer seine Mitarbeiter bestärkt, zieht automatisch gute Leute an, die gerne Ideen einbringen und Dinge ausprobieren. Der klassische „Code Monkey“ hat ausgedient (lacht).
Im aktuellen Developer-Report berichteten 55% der befragten IT-Professionals, dass sie am Arbeitsplatz schon einmal Diskriminierung erlebt oder direkt beobachtet haben. Welche Maßnahmen braucht es in der Tech-Branche, damit sie von der Vielfalt der Menschen langfristig profitieren kann?
Ich war ehrlich gesagt schockiert, dass dieses Thema immer noch so massiv spürbar ist. Unternehmen müssen hier noch viel genauer hinschauen und ihre Hellhörigkeit verstärken. Und: Das Thema Diversität muss endlich zur Priorität werden. Aktuell läuft das bei vielen Unternehmen so nebenher, dabei ist das eigentlich Chefsache.
Wie könnte das konkret aussehen?
Organisationen brauchen den Mut, auch Hidden Talents und Menschen ohne klassischen Werdegang ins Boot zu holen. Sonst läuft man Gefahr, immer die Scheuklappen aufzuhaben und nur Mitschwimmer zu beschäftigen. Je diverser und heterogener ein Team ist, desto besser lassen sich Themen wie Diskriminierung angehen, gerade weil sich der Blick damit erweitert.
Dennoch zeigen sich viele Unternehmen immer noch skeptisch, Developer mit Migrationshintergrund zu rekrutieren. Dabei geben drei von vier Developern an, dass sie sich durchaus vorstellen können, einen Job im Ausland anzunehmen. Wie können sich österreichische Arbeitgeber das zunutze machen?
Das Anspruchsdenken muss endlich aufhören. Nur weil wir jeden Film auf Deutsch synchronisiert kriegen, heißt das nicht, dass wir die deutsche Sprache auch im Arbeitsalltag einzufordern. Es ist kein Recht, nur mit perfekt Deutsch sprechenden Menschen zusammenzuarbeiten. Vielmehr braucht es die Bereitschaft, sich auch sprachlich zu öffnen und auf die Menschen zuzugehen.
Wir können es uns nicht mehr leisten, die Augen vor unkonventionellen Bewerbern und Quereinsteigern zu verschließen: Wer als Unternehmen weiterhin auf seinem hohen Ross sitzenbleibt, wird bald merken, dass die Luft da oben sehr dünn wird.
Was steckt deiner Ansicht nach hinter der Angst, unkonventionelle Bewerberinnen und Bewerber zuzulassen?
Im Arbeitsleben versucht man immer noch, alle Risiken zu minimieren. In Zeiten wie diesen funktioniert das aber nicht mehr: Es gibt immer ein gewisses Restrisiko, gerade beim Thema Diversity. Wer aber Vielfalt zulassen kann, bekommt einen bunten Strauß an Talenten, die miteinander blühen.
Wie findet man diese Talente im täglichen Recruiting-Alltag?
Indem man überlegt, wo man als Organisation hin möchte und was dazu noch fehlt. Bislang herrscht in den meisten Unternehmen eine traurige Monokultur, wo es eigentlich Vielfalt bräuchte. Gerade wenn ich aber weiß, dass mehr als die Hälfte aller Menschen nicht zu 100% zufrieden sind mit dem, was sie tun, kann ich mit Authentizität und Vielfalt punkten – und spreche am Ende des Tages die Leute an, die wirklich gut zu mir passen.
Natürlich bekomme ich so nicht hunderte Bewerbungen. Aber dafür melden sich die richtigen Leute bei mir und ich gewinne die Möglichkeit, mich mit diesen auch intensiv auseinanderzusetzen.
Auch Developer stellen sich die Sinnfrage: Jede*r Fünfte würde sich nach einer neuen Stelle umsehen, wenn er oder sie auf Dauer weder stolz auf die eigene Arbeit ist noch Bedeutung in ihr findet. Wie schaffen Arbeitgeber Jobs mit Sinn?
Jeder Mensch hat seinen ganz eigenen Sinn – genau wie Unternehmen. Es geht darum, seine Geschichte so zu erzählen, dass sie Menschen berührt, und diesen dann auch die Chance zu geben, an Bord zu kommen.
Damit ist es aber noch nicht getan: Auch in der täglichen Arbeit müssen Ziele deutlich gemacht und klar kommuniziert werden. Andernfalls entsteht Stress und Unzufriedenheit. Nur wenn man den Leuten erklärt, warum man als Unternehmen etwas tut, reduziert man das Stresslevel.
Ebenso wertvoll wie der Purpose ist ein Gefühl von Zusammengehörigkeit, sowohl im Team als auch in der größeren Community von Developer*innen und IT-Fachkräften. Wie entkommt man als Arbeitgeber dem Klischee der introvertierten Einzelgänger und bindet Entwickler*innen in eine Gemeinschaft ein?
Developer sind genauso Gesellschaftsmenschen wie wir alle: Sie leben vom sozialen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen und möchten Nähe und Gemeinschaft spüren. Arbeitgeber sind gut beraten, das zu fördern: Entwicklerinnen und Entwickler sind Knowledge-Worker. Sie brauchen allein durch die Dynamik und Komplexität der technischen Entwicklungen dringend den fachlichen Austausch, um gemeinsam Lösungen zu finden.
Das geht natürlich online auf Foren wie GitHub, Stack Overflow und anderen. Wirklich clevere Arbeitgeber aber schicken ihre Developer auf Konferenzen, wo sie sich in entsprechenden Peer Groups austauschen können. Da braucht es oft gar keine aktiven Vorschläge: Developer wissen meist selbst sehr genau, wo sie sich neues Wissen holen möchten. Unternehmen müssen diese Wünsche bloß abholen und unterstützen.
Generell ist die Rekrutierung von Entwickler*innen und technischen Fachkräften aktuell eine große Herausforderung für Unternehmen jeder Größe. Wie können Unternehmen ihren Talentpool vergrößern?
Das wichtigste aus meiner Sicht ist Authentizität: Niemand sucht mehr nach einem Job, Unternehmen müssen aktiv auf Kandidaten zugehen. Das funktioniert nur, wenn man echt ist.
Zweitens brauchen wir den Mut, auch unkonventionell zu denken und Dinge zuzulassen, die wir bislang vielleicht ausgefiltert haben. Das betrifft die Sprachkompetenz, aber auch individuelle Kriterien wie Schulabschluss, Quereinstieg oder auch die Altersfrage. Hier wählerisch zu sein, können wir uns nicht mehr leisten.
Und drittens müssen Arbeitgeber endlich aufhören, Lebensläufe zu lesen: Man kann aus der Vergangenheit nichts ableiten, was die künftige gemeinsame Zusammenarbeit betrifft. Vielmehr müssen wir Menschen dort abholen, wie sie heute stehen: Dafür brauche ich nicht mehr als eine Telefonnummer und einen Termin. Im Gespräch findet man dann schnell heraus, ob es miteinander passt – und wenn es nicht klappt, habe ich zumindest nicht viel Zeit verloren.