Dass IT-Recruiting angesichts des demografischen Wandels und dem international hohen Fachkräftemangels nicht leichter wird, ist kein Geheimnis. Kein Wunder, dass immer neue Tech-Hiring-Guides und Trendberichte erscheinen – auch wir haben bereits dazu berichtet. Eine altbewährte Methode aus dem Marketing kann dabei helfen, Ihre HR-Strategie effizienter zu machen und genau die richtigen Kandidat*innen für Ihr Unternehmen und Stellenprofil zu finden: Candidate Personas.
Was ist eine Candidate Persona?
Personas oder Archetypen werden im Marketing genutzt, um Zielgruppen besser zu definieren und visualisieren. Es werden fiktive Personen mit bestimmten demografischen, beruflichen und persönlichen Eigenschaften kreiert, die stellvertretend für eine Gruppe von Kunden stehen. Im HR- und Recruiting-Bereich kommen Candidate Personas zum Einsatz, um bessere Profile für geeignete Bewerber*innen zu erstellen oder um Employer Branding zu optimieren.
Nutzen einer gezielten Ansprache mit Personas
Die Erarbeitung von Candidate Personas wirkt auf den ersten Blick vielleicht aufwendig. Bedenken Sie jedoch, wie viele HR-Ressourcen für das CV-Sichten und Interviewen von ungeeigneten Kandidat*innen verwendet werden. Sind die grundlegenden Personas einmal definiert, sparen Sie durch die gezielte Ansprache von Bewerber*innen viel Zeit und Geld im weiteren Prozess.
Die fiktiven Idealkandidat*innen helfen Ihnen dabei, passgenaue Stellenanzeigen zu formulieren, die richtigen Kanäle zu bespielen und Strategien für Bewerbungsgespräche zu verbessern. Dadurch gibt es weniger Streuverluste, die Candidate Experience im gesamten Prozess wird optimiert und die Fluktuationsrate im Unternehmen sinkt.
Wichtige Merkmale einer Candidate Persona
Um ein vollständiges Bild von Ihrer Wunschpersona zu bekommen, sollten Sie einen detaillierten Steckbrief zusammenstellen – inklusive Name, Aussehen, demografischen Daten und Ausbildung bzw. beruflichem Werdegang. Ein Schlüsselfaktor von Candidate Personas ist aber vor allem das psychologische Profil mit den „needs, gains, pains and goals“ – also den individuellen Bedürfnissen, Emotionen und Zielen.
Stellen Sie bei der Recherche Fragen zu jedem Merkmal der Persona, ein paar Beispiele zu den wichtigsten Charakteristiken:
Qualifikationen
- Welche Abschlüsse werden vorgelegt?
- Handelt es sich um eine*n Quereinsteiger*in mit autodidaktischem Hintergrund oder laufender Weiterbildung?
- Hat die Person einen Beruf und wenn ja, welche Position? Ist Sie offen für einen Jobwechsel?
- Ist die Person aktiv auf Arbeitssuche?
Kommunikationskanäle und Web-Aktivität
- Konsumiert der*die Kandidat*in eher Online-Medien oder analoge Kanäle?
- Welche Netzwerke werden am meisten genutzt?
- Welcher Content bzw. Themen sind interessant?
- Worauf achtet die Person bei Stellenanzeigen oder bei der Webseite eines Unternehmens?
Bedürfnisse
- Was ist der Person im Leben wichtig, was treibt sie an?
- Was wird von einem Unternehmen erwartet? Z.B. Unternehmenskultur, Umfeld, Kolleg*innen, sichere Arbeitsstelle …
- Was ist beim Job besonders wichtig? Z.B. Gehalt, Entfaltungsmöglichkeiten, Work-Life Balance …
Emotionale Faktoren: Begeisterung, Frustrationen, Kernbedürfnisse
- Was begeistert die Person, was bringt ihr Freude und Sinn?
- Was ärgert die Person und erscheint ihr als Zeitverschwendung?
- Was wären Hauptgründe, sich nicht bei einem Unternehmen zu bewerben?
- Was sind positive und negative Erfahrungen im Berufsleben? Welcher Kernbedürfnisse ergeben sich daraus für die Zukunft?
Besonderheiten einer Candidate Persona in der IT-Branche
In der Tech-Branche und besonders bei Software Entwickler*innen reicht ein Fokus auf berufliche oder akademische Qualifizierungen im Recruiting nicht aus. Der hohe Anteil an autodidaktisch gebildeten Spezialist*innen spielt hier eine Rolle und ebenso die nicht-technische Jobanforderungen wie Teamfähigkeit, Kommunikationsstärke oder intrinsische Motivation.
Daher kommen bei IT Candidate Personas spezifische Merkmale hinzu, die im Profil nicht fehlen dürfen:
Technologien, Know-How und Interesse
- Mit welchem Tech Stack kann die Person arbeiten? Welche Technologien und Sprachen kennt sie außerdem? Hat Sie starke Pro oder Contra Meinungen zu bestimmten Tools?
- Was möchte der*die Kandidat*in selbst noch dazulernen und warum? Gibt es private Projekte, autodidaktische Weiterbildung, kollaborative Interessen?
Kommunikation, Arbeitsweise, Unternehmergeist
- Interessiert sich der*die Bewerber*in nur für den eigenen Aufgabenbereich oder auch für den gesamten Produktionsprozess?
- Wie sieht der gewünschte Workflow im Projekt aus? In welchen Arbeitsstrukturen kann sich die Person gut entfalten?
- Übernimmt die Person gern Verantwortung für das Gesamtprodukt und den Erfolg aller Teammitglieder?
- Wie gibt und empfängt die Person Feedback?
Intrinsische Motivation und Zufriedenheit
- Legt der*die Kandidat*in Wert auf die Möglichkeit von zeit- und ortsunabhängigem Arbeiten?
- Welche Unternehmens-Benefits sind besonders wichtig?
- Welche gelebten Unternehmenswerte sind von Bedeutung? Diversity, ökologische Maßnahmen, flache Hierarchien …
- Wie wichtig ist der Person Arbeitsplatzsicherheit? Welche Aufstiegschancen wünscht sie sich?
IT-Bewerber-Personas erstellen: Tipps und Beispiele
Um den Prozess des Persona-Bildens in Gang zu bringen, starten Sie am besten mit gründlicher Selbstreflexion: Welche Personen passen zur Unternehmenskultur, zu den Entwicklungszielen und der vorhandenen Belegschaft? Zur Recherche sollten Mitarbeiter*innen-Interviews, Gespräche mit HR-Kolleg*innen und Abteilungsleitungen gehören. Vor allem im IT-Recruiting ist die Expertise der jeweiligen Fachkräfte sehr viel wert.
Strategie 1: Eine Persona für jede Berufsrolle
Eine gute Strategie ist für jede bestehende und ausgeschriebene Job Position im Unternehmen Personas zu kreieren. Die Plattform Github hat etwa für ihre Mitglieder verschiedene Personas nach Berufsrollen entwickelt, vom Produktmanager und Development Team Lead bis zur Test-Entwicklerin.
Das Berufsnetzwerk Linkedin hat einen Guide und Templates zur Persona Erstellung publiziert, ein Beispiel ist Sophia, die Software Entwicklerin: "Sophia arbeitet momentan als Mid-Level-Developerin in einem kleinen Startup, sie hat 6-8 Jahre Berufserfahrung und hat einen Master in Computerwissenschaft.
Ihr ist es wichtig, für ein Unternehmen mit ökologischem und sozialen Gewissen zu arbeiten und sie bezeichnet sich selbst als gute Teamplayerin. Sie konsumiert regelmäßig Online-Zeitungen und Twitter und ist auch privat gerne auf Plattformen wie TechCrunch oder Recode unterwegs.
Sie möchte in den nächsten zwei Jahren Senior Developerin sein und an großen Projekten arbeiten aber trotzdem eine gewisse Flexibilität der Arbeitsstunden haben."
Strategie 2: Personas für bestimmte Karrieretypen
Für das Recruiting kann es nützlich sein, Kandidat*innen an verschiedenen Stufen der Karriere zu entwerfen. Bei einem Studienprojekt der Wirtschaftsuniversität Wien wurden vier Archetypen für ein Softwareunternehmen herausgearbeitet:
Kim, die junge Berufseinsteigerin, ist noch nicht spezialisiert, aber neugierig, engagiert und lernwillig. Sie ist Single, extrovertiert und mag soziale Unternehmungen.
Robin ist Mitte Zwanzig und sieht in seinem aktuellen Job als Front-End-Developer keine Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Er ist zwar nicht aktiv auf Jobsuche, aber bald bereit für mehr Verantwortung in einem interessanten Umfeld. Er ist gern aktiv in die Entwicklung eines Unternehmens involviert und will sich gut mit seinen Mitarbeiter*innen verstehen.
Alex hat parallel studiert und gearbeitet, weshalb sie mit Ende Zwanzig schon hoch spezialisiert ist. Sie ist ambitioniert und selbstbewusst, es ist ihr wichtig für ein innovatives Unternehmen mit gutem Ruf zu arbeiten. Sie arbeitet gerne autonom und hat im Moment wenig Zeit für private Beziehungen.
Charlie ist um die dreißig Jahre alt und Quereinsteiger. Er ist selbst gelernter Developer und möchte in einem Unternehmen arbeiten, dass ihn fördert und das teamorientiert ist. Er hat eine Familie und braucht deswegen ein flexibles Arbeitsmodell. Seine Gehaltsvorstellungen sind niedriger als bei Alex oder Robin.
Fazit: Candidate Personas für menschlicheres und wettbewerbsfähiges IT-Recruiting
Beim Erstellen von Candidate Personas geht es nicht darum, Mitarbeiter*innen oder Branchen zu generalisieren. Lebenswege sind besonders in der IT unterschiedlich, Arbeitsweisen können situationsabhängig sein und Ziele verändern sich. Dennoch gibt es zum Beispiel als Software Entwickler*in ähnliche Frustrationen, Motivationen und Katalysatoren, die wichtige Aufschlüsse für HR-Prozesse bieten.
Fiktive Personas helfen dabei, sich in die Perspektive von Personal bzw. Bewerber*in hineinzuversetzen und so menschliche Faktoren zu fokussieren – beim Reflektieren von Employer Branding, Recruiting Strategien und Aufgabengebieten von Jobs im Allgemeinen. Im Wettbewerb um die besten IT-Talente kann dieses Verständnis das Zünglein an der Waage sein.