Auf der Jagd nach den besten Developern scheuen Unternehmen heute keinen Aufwand – von astronomischen Gehaltsversprechungen bis zu kreativen, teils abstrusen Marketing-Aktionen. Dabei vernachlässigen Recruiter*innen allerdings gerne eines der Hauptprobleme der momentanen IT-Talentkrise: Die Zielgruppe wird kaum nach ihrer Meinung oder ihren Wünschen gefragt.
Sind Programmierer*innen tatsächlich „allergisch“ auf Personaler*innen? Was stört Kandidat*innen an herkömmlichen Recruitingprozessen? Wir gehen den häufigsten Fehlern im IT-Recruiting auf den Grund.
Das sehen Developer als No-Gos im Bewerbungsprozess
WeAreDevelopers führt regelmäßig Umfragen in der Developer-Community durch, unsere jüngste Studie „Arbeiten im IT-Bereich“ wurde soeben veröffentlicht. Dabei fallen immer wieder ähnliche Kritikpunkte am gängigen IT-Recruiting auf:
- Informationen zur Arbeitskultur oder interessanten IT-Projekten des Unternehmens sind schwer zu finden. Oder das vermittelte Bild der Arbeitgeber*innen passt nicht mit der Realität zusammen.
- HR-Verantwortliche verfügen über zu wenig IT-Expertise und Wissen zur ausgeschriebenen Stelle. Das wird bereits in fehlerhaften Stellenanzeigen ersichtlich und fliegt spätestens bei Nachfragen im Jobinterview auf.
- Der Recruitingprozess von Developern ist unnötig langwierig und kompliziert – von Auswahlverfahren über mehr als drei Runden bis zu wenig Transparenz und Feedback im gesamten Ablauf.
- Coding Tests fokussieren häufig die oberflächliche Problemlösung statt das Verständnis des Problems an sich.
- Qualifizierte Kandidat*innen werden bereits im ersten Schritt ausgesiebt, da sie nicht über die gewünschte Berufserfahrung oder akademische Abschlüsse verfügen.
- Beim Bewerbungsgespräch werden unpersönliche, formelhafte Fragen gestellt.
Solche häufigen Fehler sind mehr als Recruiting-Fettnäpfchen – sie zeigen, dass die HR-Strategien vieler Unternehmen für das Finden und langfristige Binden von IT-Fachkräften schrittweise revidiert werden müssen.
Fehler Nr. 1: Mangelndes Zielgruppenwissen und Employer Branding
Software Entwickler*innen sind dank ihrer Relevanz am Arbeitsmarkt keine herkömmlichen Kandidat*innen – eine genaue Recherche der Zielgruppe, gutes Branchenwissen und maßgeschneiderte HR-Strategien bilden daher die Grundlage für den Recruitingerfolg.
Kandidat*innen-Suche: Zielgruppe besser verstehen
Die Zielgruppenrecherche mag bei Developer schwieriger sein, da diese gern in eigenen Foren und auf speziellen Plattformen zusammenfinden. Umso wertvoller ist es, wenn Sie als Recruiter*in die gleiche Sprache sprechen und wahres Interesse am Fachgebiet zeigen. Das braucht zunächst Zeit und Zusatzaufwand, was im Vergleich zu den Verlusten durch lange Vakanzzeiten allerdings kaum ins Gewicht fällt. Nutzen Sie daher alle Netzwerke und Wissensquellen, die Ihnen zur Verfügung stehen – vom eigenen IT-Team und Open-Source-Software-Netzwerken bis zur Teilnahme an Fachveranstaltungen oder auch die Beratung durch externe Spezialist*innen.
Marktpräsenz durch richtiges Employer Branding
Auch passive Kandidat*innen halten in den sozialen Medien oder auf Tech-Events gerne Ausschau nach interessanten Projekten und innovativen Unternehmen. Vor der Bewerbung werden noch Arbeitgeber-Bewertungsportale wie Glassdoor oder Kununu gescannt. Umso wichtiger ist es für Arbeitgeber*innen, durch intelligentes und authentisches Employer Branding zu überzeugen.
Vor allem die gemeinsamen Werte sowie Ziele von Unternehmen und Belegschaft sollten ersichtlich werden – nicht durch gekünstelte Fotos oder Buzzwords, sondern anhand von Projektbeispielen, Einblicken in den Arbeitsalltag oder von Mitarbeiter*innen produziertem Content. Ein „Developer-Spotlight“ oder Blog kann dabei den Fokus auf das IT-Team und spezielle Themen setzen.
Fehler Nr. 2: Fehlendes IT-Know-How im Bewerbungsprozess
Nichts ist für IT-Fachkräfte frustrierender, als im Bewerbungsgespräch einer Person gegenüberzusitzen, die kaum Fragen zur ausgeschriebenen Stelle oder zum eigenen IT-Team beantworten kann.
Ausschreibung: Klare Anforderungen und realistische Qualifikationen
Bereits das Stellenprofil und die gesuchten Qualifikationen können hierbei eine Quelle von Fehlern und Missverständnissen sein. Vor der Ausschreibung müssen der genaue Jobtitel, erforderliche technische Mindestkenntnisse, Anforderungen von Projekt und Teamrolle, Informationen zu den aktuellen und zukünftigen Projekten sowie Karrierewege geklärt werden – am besten gemeinsam mit der IT-Teamleitung.
Das Qualifikationsprofil von Kandidat*innen sollte weniger in Berufsjahren oder akademischen Abschlüssen gemessen werden und lieber praktisches Know-How gewünschter Technologien und Tools sowie eigene Projekte fokussieren. Mit unrealistischen Erwartungen, etwa Expertise in einem noch neuen Feld oder Kenntnisse in vielen Programmiersprachen, schrumpfen Sie den Kandidat*innenpool. Interne Weiter- und Fortbildungen bzw. Spezialisierungen fördern hingegen flexible, lernfähige und loyale Mitarbeiter*innen.
Stellenanzeigen für Developer optimieren
Entwickler*innen mögen effiziente, klare Strukturen und schnellen Zugang zu wichtigen Informationen – das gilt auch für Stellenanzeigen und Jobangebote. Langatmige Beschreibungen mit Werbefloskeln schrecken garantiert ab, setzen Sie stattdessen auf eine persönliche, aber professionelle und prägnante Ansprache.
Laut unserer neuesten Studie achten Developer bei Ausschreibungen besonders auf wettbewerbsfähige Gehaltsangaben, klare Entwicklungsmöglichkeiten der Stelle, flexible Arbeitsorte, Gesundheitsangebote und leistungsbezogene Boni. Auch Informationen zur Teamstruktur und Arbeitsweisen sind gerne gesehen, ein detaillierter Tech-Stack mit „Must-Haves“ und „Nice-to-haves“ darf ebenfalls nicht fehlen. Bonuspunkte erhalten Sie, wenn Sie bei der Arbeitssprache und der verwendeten Hard- bzw. Software Offenheit zeigen.
Darauf achten Entwickler*innen im Vorstellungsgespräch
Verantwortliche aus der IT-Abteilung sollten so früh wie möglich in den Recruitingprozess eingebunden werden, aber spätestens im persönlichen Vorstellungsgespräch. Bei hohem Bedarf lohnt es sich, eine eigene Schnittstelle mit HR- und IT-Expertise zu etablieren.
Absolut zu vermeiden sind typisierte Fragenkataloge für IT-Berufe – Informationen und Fragen sollten sich auf die gesuchte Stelle, die Rolle im Unternehmen sowie Projekte, Erfahrungen und Ziele der Kandidat*innen beziehen. Die wichtigsten Diskussionspunkte für IT-Fachkräfte sind nach unserer Umfrage das Gehalt (46 Prozent) und die Ansprüche der Vorgesetzten (37 Prozenten).
Fehler Nr. 3: Falsches Active Sourcing
Active Sourcing ist im IT-Recruiting längst kein Geheimtipp mehr. Leider sind viele Unternehmen und Personalagenturen dazu übergegangen, massenweise standardisierte oder automatisierte Jobangebote über Netzwerke wie LinkedIn, Xing etc. zu verschicken. Eine Studie hat sogar herausgefunden, dass immer mehr IT-Fachkräfte mittlerweile negativ auf Personaler*innen-Anfragen reagieren – 16 Prozent löschen die Nachricht ungelesen, zwei von zehn Nutzer*Innen meiden den Kanal zukünftig.
Personaler*innen sollten daher ausschließlich Personen anschreiben, die sehr gut auf das Stellenprofil passen und diese im Erstkontakt auf individuelle Projekte und Interessen ansprechen. Geduld und nachhaltiges Networking auf IT-Plattformen zahlt sich aus: In unserer IT-Fachkräfte-Umfrage gab ein Fünftel an, gute Angebote grundsätzlich im Hinterkopf zu behalten. Weitere Faktoren für ein positives Recruiting-Gespräch sind ein fachlich gut informiertes Gegenüber, ein individuell passendes Angebot und schlicht das richtige Timing.
Fehler Nr. 4: Schlechte Candidate Experience
Ein Fakt, der bei der Bewertung von Recruiting-Erfolg gern übersehen wird, ist der langfristige Eindruck, den sich Kandidat*innen von Arbeitgeber*innen bilden. Schlechte Erfahrungen im Recruitingprozess führen im schlimmsten Fall zur Absage, zum Bewerbungsabbruch oder einem Platz auf der „schwarzen Liste“ zukünftiger Bewerbungen.
Bewerbungsrunden und Coding Test
Anspruchsvolle technische Stellen benötigen zur passenden Besetzung einige Assessment-Runden. Für Software Entwickler*innen sind praktische Coding Tests und mehrere persönliche Gespräche gängige Maßnahmen, bei mehr als zwei bis drei Runden im Bewerbungsprozess sehen Kandidat*innen laut unserer Umfrage jedoch rot.
Die Qualität der Praxistests variiert dabei stark – legen Sie daher Wert auf interessante Inhalte, die direkt mit Projekten und Problemstellungen aus der eigenen Arbeitspraxis zu tun haben. Weiters können Sie schon in der Ausschreibung Profile auf Plattformen wie Hackerrank oder GitHub zur Bewertung von bestimmten Skills nutzen.
Stolperfallen während des Recruitingprozesses
Die Candidate Experience von Bewerber*innen beginnt beim ersten Kontakt mit dem Unternehmen bzw. dem Stellenangebot und setzt sich bis zum Onboarding fort. Scheinbar nebensächliche Aspekte wie die Dauer des Recruitingprozesses, zu wenig Feedback oder schlechte Kommunikation können darüber entscheiden, ob ein Job angenommen wird oder von Beginn an eine mangelnde Mitarbeiter*innenbindung besteht. Wertschätzung und Transparenz müssen im gesamten Ablauf großgeschrieben werden, auch kurze Reaktionszeiten sind Developer*innen wichtig. Vergessen Sie dabei nicht auf die Unterstützung durch digitale Tools für Bewerbermanagement, virtuelles Onboarding und Video-Kommunikation.
Fazit: IT-Recruiter*innen müssen aus Fehlern lernen und am Ball bleiben
Das Recruiting von IT-Fachkräften und Developern wird in Zukunft noch schwieriger werden. Bevor Sie zu Guerilla-Recruiting-Taktiken oder teuren Personalagenturen übergehen lohnt es sich, die eigenen HR-Prozesse und bisherige Erfolge bzw. Misserfolge bei der Suche und Anstellung von IT-Talenten zu reflektieren. Viele typische Fehler im IT-Recruiting lassen sich ohne viel Aufwand korrigieren, andere Problemlösungen erfordern womöglich tiefgreifende Veränderungen. Wenn Sie dann noch regelmäßig mit Ihren IT-Mitarbeiter*innen kommunizieren und am Puls neuer Entwicklungen bleiben, sind Sie der Konkurrenz schon um einiges voraus.