IT-Recruiting ist kein Zuckerschlecken. Der Konkurrenzkampf ist groß und qualifizierte Entwickler*innen sind tendenziell nicht aktiv auf Jobsuche. Gäbe es doch nur einen Weg, in die Köpfe von Developer*innen zu sehen …
Justin Etheridge, Mitbegründer von Simplethread, schafft mit seinem Blogartikel 20 Things I’ve Learned in my 20 Years as a Software Engineer Abhilfe. Wir haben seine Insider Aussagen unter die Lupe genommen und zeigen, was Personaler*innen daraus lernen können.
Die besten Entwickler*innen sind jene, die nicht nur gute Codes schreiben, sondern Codes, die Menschen gut nutzen können. Jede*r Top Designer*in wird Ihnen sagen, dass der Mensch im Mittelpunkt des Designprozesses steht: Wer nutzt das Produkt, warum und wie wird es benutzt, wie kann die Nutzung optimiert werden? Dieselben Fragen müssen sich auch anspruchsvolle Developer*innen stellen.
Wo finden Recruiter*innen die besten Developer*innen?
Um wirklich gute Programmierer*innen zu finden, reichen 08/15-Stellenanzeigen auf den größten allgemeinen Jobportalen nicht aus.
- Achten Sie bei der Stellenanzeige auf Ihr Zielpublikum: Beschreiben Sie die Aufgaben und technische Anforderungen im Detail, im Fachjargon statt mit allgemeinen Floskeln. Ihr Tech Stack ist für Entwickler*innen besonders interessant, am besten als eigener Punkt auf der Karriereseite des Unternehmens.
- Zeigen Sie im Employer Branding, wie der Alltag von Developer*innen in Ihrem Unternehmen aussehen kann: Rahmenbedingungen für Projekte, Arbeitszeitmodelle, aktuelle Beispiele und Teammitglieder.
- Nutzen Sie Active Sourcing auf Plattformen wie LinkedIn und Xing. Gehen Sie dabei individuell darauf ein, warum die Referenzen und Skills der Person genau zu Ihrer ausgeschriebenen Stelle passen.
- Erkunden Sie sich bei Ihren Angestellten nach Hochschulforen oder spezifischen IT-Portalen. Auf einer Plattform wie GitHub finden Sie zum Beispiel Spezialist*innen, die in ihrer Freizeit an Open Source Codes arbeiten.
- Persönliche Empfehlungen gehören zu den häufigsten Quellen für Talente, nutzen Sie die Netzwerke Ihres IT-Teams. Auch Personalvermittlungsfirmen sind vor allem bei der Suche nach hoch qualifizierten Expert*innen ihre hohe Provision wert.
Warum der Lebenslauf nicht alles ist
Laut der aktuellen „Developer Survey“ von Stack Overflow schreiben 50 % der Developer*innen ihre ersten Codes bereits im Schulalter, etwa zwei Drittel der Befragten haben autodidaktisch Programmieren gelernt. Daher sagt es wenig aus, wenn im Lebenslauf kein IT-spezifischer Hochschulabschluss oder nur ein paar Jahre Berufserfahrung stehen. Finden Sie heraus, an welchen Projekten Kandidat*innen bereits mitgewirkt haben – sowohl beruflich als auch in Form von Open Sourcing oder eigenen Webseiten und Communities. Formulieren Sie ebenso in Ihrer Stellenanzeige, dass ein Hochschulabschluss nicht Grundvoraussetzung ist.
„Konzentrieren Sie sich darauf 0.1x Programmierer*innen zu vermeiden, statt nach 10x Programmierer*innen zu suchen“
Es ist ein Mythos, der sich im IT-Business hartnäckig hält: Programmier*innen, die im selben Zeitraum zehnmal so viel leisten können als ihre Kolleg*innen. Leider ist Quantität nicht Qualität und zum Software entwickeln gehört mehr dazu als schnell von A nach B zu kommen. Achten Sie im Bewerbungsprozess lieber darauf, 0.1x Programmierer*innen auszusortieren: Jemand, der nicht um Feedback bittet, Code nicht testet, Randfälle nicht berücksichtigt etc. und dadurch Zeit vergeudet.
Welche Fähigkeiten sollten Programmierer*innen mitbringen?
Das Berufsprofil von Programmierer*innen ist im Laufe der Jahre komplexer geworden. Neben den grundlegenden technischen Fähigkeiten zählen vor allem folgende Faktoren:
- Teamfähigkeit: Die meisten Projekte entstehen im Team, Kollaboration und gegenseitige Unterstützung sind essenziell.
- Kommunikationsstärke: Je nach Kontext und Gesprächspartner müssen Programmierer*innen komplexe Sachverhalte vermitteln können – für den reibungslosen Austausch im Team, in der Arbeit mit anderen Abteilungen und besonders im Kundengespräch.
- Selbstreflexion und Lernwille: Die eigenen Fähigkeiten zu kennen ist ebenso wichtig wie diese zu hinterfragen. Vor allem in der schnelllebigen IT-Branche sollten Entwickler*innen offen dafür sein, sich neue Arbeitsweisen und Kompetenzen anzueignen.
- Problemorientierung: Projekte beginnen nicht mit Codes, sondern mit Problemstellungen. Analytisches und konzeptionelles Denken gehen dabei Hand in Hand mit Kreativität.
„Der größte Unterschied zwischen Junior und Senior Developer*in ist, das Zweitere eine klare Meinung zu Tools und Software haben“
Die Positionen Junior und Senior Developer*in trennen auf den ersten Blick Berufserfahrung und Gehalt. Wenn Bewerber*innen je nach Technologie variierende Skill Levels haben und viel autodidaktisch gelernt haben verschwimmen die Grenzen. Grundsätzlich kann man sagen – Senior Developer haben Lieblingstechnologien und können leidenschaftlich darüber streiten, warum andere nicht zu gebrauchen sind. Wer keine Meinung hat, hat noch nicht genügend Programmiersprachen, Libraries oder Paradigmen ausprobiert.
Diese Fähigkeiten sollten Junior Developer*innen besitzen
- Gute Kenntnisse der relevanten Programmiersprachen und Tech-Stacks
- Weniger als drei Jahre Berufserfahrung im Team
- Fähigkeit, technische Aufgaben in gegebener Architektur selbstständig durchzuführen
- Einblick in den gesamten Entwicklungszyklus
- Mitarbeit an den meisten Prozessen der Softwareerstellung unter Supervision
- Hohe Lernbereitschaft und proaktives Denken
Das sollten Senior Developer*innen können
- Expertise in den firmenrelevanten Technologien und Vertrautheit mit anderen Systemen
- Einige Jahre (zweistellig) Berufserfahrung im Team, eventuell Teamleitung
- Profunde Erfahrung in der Neuentwicklung, Weiterentwicklung und Fehlerbehebung von Software-Lösungen
- Supervision von Junior-Developer*innen
- Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen im Hinblick auf: Kosteneffizienz, maximalen Nutzen, Ressourceneinsatz, Wartung, Skalierbarkeit
- Kommunikationsstärke, soziale Kompetenz und Problemlösungsskills
„Das Bewerbungsgespräch sagt nichts über die Teamfähigkeit von Kandidat*innen aus“
Die Wahrheit ist: Wie produktiv ein*e Softwareentwickler*in tatsächlich arbeitet und ins vorhandene Team passt, erfahren Sie weder im Lebenslauf noch im Bewerbungsgespräch – das passiert nach einigen Monaten der Einarbeitung. Nutzen Sie das Interview daher, um mehr über die Person und ihre Interessen sowie Motivation zu erfahren.
Darauf sollten Sie im Interview achten
Besonders im IT-Recruiting ist der Dialog auf Augenhöhe ausschlaggebend, auch Arbeitgeber sind im Gespräch am Prüfstand. Binden Sie beim Erstgespräch wenn möglich Verantwortliche aus der IT-Abteilung ein und zeigen Sie Ihre eigene Kenntnis der Fachsprache und neuer Entwicklungen der Branche.
Fragen Sie Kandidat*innen, anstatt technische Kenntnisse abzuklappern, nach ihren Lieblingsprojekten, was sie daraus gelernt haben und welche Ziele sie in Zukunft anstreben.
Ein klassisches Bewerbungsgespräch reicht nicht aus
Fehlentscheidungen bei der Einstellung von Entwickler*innen können verheerend für das Unternehmen sein, daher sollte der Bewerbungsprozess mehrere Stufen durchlaufen. Neben CV-Screening und Interview sind Code Tests üblich, arbeiten Sie am besten mit dem IT-Team eine spannende Problemstellung aus und achten Sie je nach Jobprofil auf eine angemessene Zeitbegrenzung.
Geben Sie Bewerber*innen außerdem die Chance, das Arbeitsumfeld und Team kurz näher kennenzulernen. Über Open House Events oder Fachvorträge können Sie den informellen Austausch weiter vertiefen.
„Hören Sie Ihren Entwickler*innen zu“
Um die richtigen Anwärter*innen für Ihr IT-Team zu finden sollten Sie zuerst die Arbeitsweisen, Ideen und Bedürfnisse der eigenen Developer*innen kennen. Entwickler*innen sind es gewohnt, Spezialist*innen im eigenen Bereich zu sein und untereinander im Fach-Steno zu kommunizieren. Aber verwechseln Sie Bescheidenheit oder Wortkargheit nicht mit Desinteresse. Fragen Sie stattdessen aktiv nach individuellen Meinungen, aktuellen Herausforderungen oder blinden Flecken. Und achten Sie auf den richtigen Zeitpunkt für das Gespräch sowie eine interessierte, empathische Grundhaltung.
„Softwareentwickler*innen brauchen, wie alle Menschen, ein Gefühl der Verantwortung“
Früher war es üblich, dass die Softwareentwicklung und operative Teams getrennt an ihren eigenen Zielen arbeiteten. Was dabei passiert ist jedoch, dass Developer*innen Verantwortung im negativen Sinne abgeben und den Blick für das “big picture” verlieren. Deswegen sollte es eine Priorität für die HR sein, den kommunikativen Austausch und die Anteilnahme jedes Einzelnen am Gesamtprozess zu fördern - etwa durch den Einsatz von DevOps und agilem Projektmanagement. Wenn alle ein Stück Verantwortung im gesamten Produktzyklus übernehmen, wird die Arbeit der Einzelnen mehr wertgeschätzt und auch die Motivation sowie Qualität des Produkts steigen an.