Der #RC22 in Berlin hat in diesem Jahr wieder viele kluge Köpfe zu Themen wie Recruiting, Mitarbeiterbindung und Employer Branding unter einem Dach vereint. Weil die Zeit oft viel zu kurz war, haben wir von WeAreDevelopers einige der Speaker*innen gebeten, uns mehr von ihren fachlichen Insights zu verraten. Die besten Tipps und Tricks rund um IT-Recruiting, Mitarbeiterbenefits und was sich HR von der Heavy Metal-Band Metallica abschauen kann, lesen Sie hier.
Die Heavy-Metal-Szene pflegt den lauten, martialischen, provokanten Auftritt. Sich ein bisschen was davon abzuschauen, könnte HR durchaus guttun, sagt Nico Rose, Berater, Autor und ehemaliger Professor für Wirtschaftspsychologie an der ISM Dortmund.
„Metallica ist die beliebteste Metal-Band der Welt. Ob das an ihrer musikalischen Qualität liegt, ist Geschmackssache. Was jedoch unbestreitbar ist: Die Band hat einen untrüglichen Geschäftssinn. Eines der Erfolgsgeheimnisse: Die Fans bekommen nicht irgendein, sondern jeweils ihr besonderes Metallica-Konzert. Die Band nutzt geolokalisierte Spotify-Daten, um zu verstehen, welche ihrer Songs in welchen Regionen der Welt besonders beliebt sind, und nimmt die lokalen Favoriten in die Setlist auf. Was heißt das für HR? Man darf noch viel mutiger werden, sowohl, was die Nutzung von Daten als auch, was die Personalisierung betrifft: je individueller die Ansprache, desto größer der motivationale Effekt.“
Programmierer*innen sind auch nur Menschen, sagt Rudi Bauer, CCO & Chief Evangelist von WeAreDevelopers und ehemaliger Software-Entwickler. Er ist unermüdlich dabei, Klischees aufzuklären und auf unterschiedliche Bedürfnisse junger Menschen und deren Erwartungen an ihren Job einzugehen. Das hat dann nichts mehr mit dem Blick in die Glaskugel zu tun, sondern viel mehr mit einem tiefen Verständnis und Interesse an dieser begehrten Berufsgruppe
„Entwicklerteams sind bunt gemischt: Neben Autodidakten und Studienabbrechern findet man auch Quereinsteigerinnen, die eine Programmiersprache selber gelernt haben, und dann Freude am Coden gefunden haben. Mit einem starren Organisationskonzept kann man diese Menschen nicht anlocken. Besser kommen Talks, Events und inspirierende Vorträge an – und zwar in allen Sprachen. Noch immer gehen die meisten Unternehmen davon aus, deutschsprachige Entwickler zu finden. Developer leben aber im Englischen – und lassen sich nicht auf einen Ort festlegen. Die Frage darf daher nicht lauten: Bonn, Bielefeld oder Berlin? Vielmehr müssen Unternehmen global denken und sich auf remote work einlassen. Nur so nutzen sie das vorhandene Potenzial und können in Punkto Talente aus dem Vollen schöpfen.“
Change IT or leave IT - das ist das Motto von Dalia Das, Gründerin von neuefische – School and Pool for Digital Talent. Gemeinsam mit Fachexperten macht sie Quereinsteiger in speziellen Kursen fit für digitale Berufe - ob als Web oder Java Developerin, als Data Scientistin, Data Analystin oder Cloud Developerin. Sie sagt: Gerade im IT-Recruiting muss der Kanalmix möglichst vielfältig und divers sein.
„Mein Rat an alle Unternehmen, die Fachkräfte im IT-Bereich suchen, ist, auch Quereinsteiger, die keine klassische Ausbildung vorzuweisen haben, ins Auge zu fassen. Traditionelle Hochschulabschlüsse sagen weder, was ein Bewerber alles kann, noch, ob er gut zum Team passt und die notwendigen Soft Skills mitbringt. Gerade in der IT sollte man Fachkräfte nicht nach Ausbildung, sondern nach Potenzial rekrutieren und darauf achten, sie intern zu fördern. Um mit der Geschwindigkeit der technologischen Entwicklungen mitzuhalten, ist das Thema Up- und Re-Skilling besonders wichtig: Der Markt gibt oft einfach nicht her, was Arbeitgeber brauchen. Unternehmen müssen daher auf ihre bestehenden Mitarbeiter setzen und Freiräume für diese schaffen, um Neues zu lernen und sich weiterzubilden. Das ist kein privates Vergnügen, sondern schafft Mehrwert gerade auch für die Unternehmen.“
Gerade IT-Fachkräfte wissen wie begehrt sie sind, sagt Eva-Maria Meyr, Director R&D Employer Branding & Communications von Dynatrace in Linz. Sie rät Unternehmen, eine Balance zu finden zwischen dem Gewinnen von Talenten und dem Behalten talentierter Mitarbeiter.
„Wir müssen endlich beginnen, IT-Recruiting strategisch und holistisch zu planen und erkennen, dass dieser Bereich den Unternehmenserfolg maßgeblich beeinflusst. Essenziell für mich in dem Kontext ist Authentizität: Wer nach außen ein „heile-Welt-wir-sind-so-super“-Image verkauft, das im Unternehmen nicht spürbar ist, schadet sich massiv selbst. Gerade Recruiter müssen verstehen, dass wir es mit smarten Menschen zu tun haben und nicht mit Human Ressourcen. Ein Schlüsselfaktor ist meiner Meinung das Umlegen von Marketingmechanismen auf den People-Bereich: So kann man etwa die eigenen Mitarbeiter:innen motivieren, sich als Ambassadors in Communities, Meetups und Hochschulkooperationen zu engagieren und Bewertungsplattformen wie Kununu und Glassdoor aktiv pflegen. Was bei uns unglaublich gut funktioniert, ist der SWAG: Wir produzieren T-Shirts, Rucksätze, Sportkleidung, Socken und anderes, das unsere Dynatracer sowohl während der Arbeit als auch in der Freizeit tragen. Bei 1.500 Entwickler:innen entwickelt sich damit ein enormer Werbewert – und stärkt das Zugehörigkeitsgefühl zum Unternehmen.“
Viele IT-Fachkräfte können sich schon lange aussuchen, wo sie arbeiten wollen. Bei nahezu gleichwertigen Angeboten können daher zusätzliche finanzielle Anreize und andere Benefits den Ausschlag für oder gegen eine Bewerbung geben, weiß Urte Hildbrand, National Account Managerin der Benefit-Plattform voiio. Sie rät Unternehmen, sich auch privater Herausforderungen von Entwickler*innen anzunehmen – und im Idealfall dafür zu sorgen, dass so erst gar keine Probleme entstehen.
„Wir bemerken aktuell eine akut sinkende Loyalität gegenüber Arbeitgebern: Wenn ich bei gleicher Jobdescription von zu Hause aus für Firma X oder Y arbeite, ist die Bindung zum Unternehmen einfach nicht mehr so innig – und ein Wechsel daher umso leichter. Um latent Wechselwillige in dem Bereich anzusprechen, müssen Unternehmen mittlerweile aber mehr in die Waagschale werfen als die bekannten Standardparameter. Je mehr ansprechende Benefits ich liefern kann, desto eher komme ich in die engere Wahl. Unterscheiden kann man dabei zwischen finanziellen Benefits wie Zuschüsse für Mobilität, Essen, Sport oder Dienstfahrzeugen, und Themen, die den Bereich Gesundheit, Work Life-Balance und persönliche Weiterentwicklung betreffen. Die Menschen wollen spüren, dass ihr Leben außerhalb der Arbeit ebenfalls gewürdigt und im besten Fall auch unterstützt wird – und zwar, bevor überhaupt Probleme entstehen. Wer sich daher als Arbeitgeber und Problemlöser um den gesamten Menschen kümmert und alle wichtigen Themen anspricht, die einen Bewerber oder Mitarbeitenden umtreiben, hat im Kampf um die besten Talente die Nase vorn.“
Die IT-Zielgruppe ist lösungsaffin, sagt Michael Benz, Gründer des HR-Start-ups whyapply. Wer sie für sich begeistern will, sollte nicht mit schnöden Floskeln um sie werben, sondern echte Herausforderungen präsentieren – und damit ihren angeborenen Problemlösungstrieb nutzen.
„Aktuell ähneln sich fast alle Unternehmen in der Außenkommunikation, was die Suche nach IT-Fachkräften angeht. Es gibt keine Aha-Effekte mehr, alle haben dieselben Benefits und ähnliche Gehälter. Oft gewinnt dann die Company mit der stärksten Produktmarke den Kampf um die besten Köpfe, weil man sich das Wettbieten nicht mehr leisten kann. Dabei sind diese Dinge für Entwickler oft gar nicht so entscheidend wie die realen Aufgaben und Herausforderungen, die er oder sie im Unternehmen lösen kann. Wir empfehlen daher, so früh wie möglich den Fachbereich in den Recruitingprozess mit einzubinden und das hohe persönliche Commitment von IT-Fachkräften zu ihrem Beruf auch im Recruiting zu nutzen. Um schon im Vorfeld die Aufmerksamkeit von Entwickler*innen zu gewinnen, muss man ihr technisches Interesse wecken. Wir schalten etwa für unsere Kunden im IT-Bereich Teaser auf Coding-Probleme, wie sie sich im Betrieb tagtäglich ergeben. Wer da drauf klickt, hat schon automatisch ein Interesse daran, diese zu lösen – und kann in weiterer Folge eventuell auch als Kandidat gewonnen werden.“
Alle Fotos Kay Herschelmann